Interview: Mae Holloway & Jules Calder

Northern Drift – Der verlorene Flugplatz ist der Auftakt einer Reihe, die das Leben zweier Frachtpiloten in den schottischen Highlands zwischen Routine, Risiko und Nebel erzählt. Mae Holloway und Julius „Jules“ Calder fliegen für eine kleine Linie mit Vergangenheit – und geraten in einen Auftrag, der alles verändert. Wir haben die beiden im Hangar am Torran Hill Airfield getroffen, um über Flugzeuge, Zusammenarbeit und die Ereignisse des Buches zu sprechen.

Twin Otter von Northern Drift
Interview und Artikel: Daniel Havers

Ich treffe Mae Holloway und Julius „Jules“ Calder an einem windigen Nachmittag in ihrem Hangar am Torran Hill Airfield. Anlass ist das Erscheinen des ersten Bandes von Northern Drift – einer „Niederschrift“ realer Flüge, wie mir versichert wurde. Die Terminvereinbarung war zäh: Die Chefin der kleinen Frachtfluglinie Northern Drift, Moira Rusk, hat nach mehreren Telefonaten und zwei verschobenen Vorschlägen schließlich zugestimmt – unter der Bedingung: „keine Betriebsgeheimnisse, keine Kundennamen“.

Als ich eintrete, hockt Jules neben einer grünen Twin Otter. Vor ihm dampft ein alter Gaskocher unter einer Emaille-Kanne. Er hebt kurz die Hand zum Gruß, ohne den Blick vom Kaffee zu nehmen. Ein paar Meter weiter poliert Mae mit ruhigen, präzisen Bewegungen den Flugzeugrumpf; auf der Werkbank liegen Werkzeuge, Lappen und ein fleckiges Wartungslogbuch. Es riecht nach Metall, Reinigungsmitteln und einem Hauch Kerosin. „Wir haben zehn Minuten“, sagt Mae, ohne stehenzubleiben. Jules ergänzt: „Oder fünfzehn, wenn der Kaffee gut wird.“ Also verschwende ich keine Zeit und steige direkt ein.

Daniel: Frau Holloway, Herr Calder – danke, dass Sie sich Zeit nehmen. Wie fühlt es sich an, plötzlich die Hauptfiguren eines Buches zu sein?
Mae: Neutral. Ich sehe das als Dokumentation, nicht als Ruhm. Solange die Fakten stimmen, habe ich nichts dagegen.
Jules: Ich fand’s erst komisch. Wer will lesen, wie ich nachts Reifen wechsle und fast den Thermobecher fallen lasse? Aber die Leute mögen das Echte, nicht das Heldengedöns. Und der Autor hat meinen Humor ziemlich gut getroffen. Mae findet das weniger gut.
Mae: Weil du das Manuskript laut vorgelesen hast. Mit verteilten Rollen.
Jules: Das war Qualitätssicherung.

Daniel: Wie nah kommt die Romanversion dem Northern-Drift-Alltag? Gab es Szenen, bei denen Sie dachten: „Genau so war’s!“ – oder „Sei’s drum, etwas beschönigt“?
Mae: Die Abläufe sind korrekt: Startprozeduren, Funk, Wetterlagen. Manche Dialoge sind allerdings … erweitert. Ich spreche selten in ganzen Absätzen.
Jules: Stimmt. Im Buch redet sie fast doppelt so viel. Und ich nur halb so viel, sagt Moira. Die Stimmung passt: dieses Pendeln zwischen Routine und Chaos.

Daniel: Wie sind Sie beide überhaupt zu Northern Drift gekommen?
Mae: Ich wohne fußläufig.
Jules: Bei mir war’s… ungeplant. Nach der Ausbildung habe ich bei einer Charterlinie in Bristol als Flugbegleiter gearbeitet. Eigentlich wollte ich mich ins Cockpit hocharbeiten – doch die Airline ging pleite. Northern Drift bot mir einen Platz im Cockpit. Spätestens als Mae kam, war er fest. Vielleicht, weil Moira dachte, jemand müsse sie gelegentlich zum Lachen bringen. Oder weil niemand sonst ihren Checklisten-Rhythmus verstand.
Mae: Du hast den ersten Flug zehn Minuten verzögert, weil du deine Mütze gesucht hast.
Jules: [grinst] Der Kaffee war pünktlich.

Daniel: Zwei sehr unterschiedliche Charaktere im Cockpit – wie funktioniert das praktisch?
Mae: Durch klare Aufgabenverteilung. Jeder weiß, was er tut, und hält sich an Verfahren. Emotionen sind sekundär. Smalltalk ist fehl am Platz.
Jules: [lacht] Genau. Sie fliegt – ich verhindere soziale Katastrophen. Ernsthaft: Es funktioniert, weil wir uns nicht verbiegen. Wir ergänzen uns. Ich weiß, wann ich schweigen muss. Und Mae weiß, wann ich das garantiert nicht tue.
Mae: Gemischte Crew-Dynamiken kompensieren Fehlertoleranzen.
Jules: Ihre höfliche Art zu sagen: Ich bin ihr Sicherheitsventil.
Mae: Eher ein unberechenbarer Faktor mit gelegentlichem Nutzen.
Jules: Siehst du? Teamarbeit.

Daniel: Gibt es ein Flugzeug, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Mae: Unsere De Havilland Canada DHC-6-300 Twin Otter, Seriennr. 321, Baujahr 1979, Frachtversion, Kennung G-EKFO. Zwei Pratt & Whitney Canada PT6A-27, analoges Cockpit. Zugeständnisse: nachgerüsteter Autopilot und GPWS. Robust, ehrlich – fliegt, wenn andere bleiben.
Jules: „The Crooked Lady“, wie ich sie nenne. Ich mag sie auch, aber ich mochte die alte Beechcraft, die früher hier stand. Die roch nach Öl, Leder und Geschichten. Die Twin Otter riecht nach Reinigungsmittel und Maes Ordnungssystem.
Mae: Das nennt sich Wartungsdisziplin.
Jules: Manchmal wünsche ich mir ein paar mehr Kratzer, damit sie mich nicht verurteilt, wenn ich die Tür zu laut schließe.

Daniel: In Band 1 passiert einiges, was man im Frachtbetrieb nicht täglich erlebt. Wie gehen Sie damit um, wenn Routine zur Ausnahme wird?
Mae: Indem man Abläufe beibehält. Checklisten, Kommunikation, Prioritäten. Egal, was passiert – erst fliegen, dann denken.
Jules: Ergänzung: erst fliegen, dann fluchen. Meist in der Reihenfolge. Wir hatten Nächte, da war das Cockpit wie Donner und Orgelmusik – draußen Gewitter, drinnen Warntöne. Ruhig bleiben… oder so tun, als wär man’s.
Mae: Simulation trainiert Reizkontrolle.
Jules: Und danach sagt Mae: „Das war interessant.“ Ihr Code für „Wir hätten fast sterben können“.
Mae: Es war bisher nur fast.

Daniel: Frau Holloway, Sie gelten als präzise und strukturiert; Herr Calder als… sagen wir, improvisationsfreudig. Wie ergänzt sich das?
Mae: Ich plane. Er weicht ab. In der Mitte treffen wir uns.
Jules: Wenn Mae fliegt, ist alles exakt – bis zur Tassenposition. Wenn ich fliege, ist’s… kreativer.
Mae: Der einzige kreative Prozess im Cockpit sollte der Funk sein. Und selbst der hat sich an Richtlinien zu halten.
Jules: Sie hält den Kurs, ich die Laune. Und wenn’s brenzlig wird, tauschen wir kurz: Sie sagt was Nettes, ich halte den Mund.
Mae: Passiert etwa einmal im Jahr.
Jules: Ja, und das ist dann mein Feiertag.

Daniel: Ihr bemerkenswertester Flug – gut oder schlecht?
Mae: Nachtanflug Stornoway. Tiefe Bewölkung, Seitenwind, kein ILS. Visueller Anflug unter der Decke, minimale Sicht. Technisch anspruchsvoll, sauber geflogen.
Jules: Ich erinnere mich eher an den Rückflug. Eine Möwe hat uns den Startlauf versaut und Mae hat abgebrochen, als hätte sie’s geahnt. Ich war mitten im Satz.
Mae: „Rotate“ war noch nicht ausgerufen. Auch V1 noch nicht erreicht.
Jules: Die Möwe hat Respekt gelernt.
Mae: Respekt? Du bist ausgestiegen und hast zehn Minuten mit ihr diskutiert.
Jules: He, jemand musste ihre Version hören.

Daniel: Beschreiben Sie Northern Drift in einem Satz für jemanden, der nie von Ihnen gehört hat.
Mae: Regionale Luftfracht unter wechselhaften Bedingungen, minimale Ressourcen, maximale Eigeninitiative.
Jules: Zwei Leute, ein Flugzeug und genug Kaffee, um ganz Schottland zu umrunden.
Mae: Das ist kein realistisches Flugprofil.
Jules: Aber ein guter Slogan.
Mae: Northern Drift ist kein Werbeprojekt.

Daniel: Zum Schluss: Ein freier Tag am Boden oder ein weiterer Auftrag?
Mae: Ein Auftrag. Stillstand erzeugt Unruhe.
Jules: Kommt drauf an, ob der freie Tag bezahlt ist. Im Ernst: Ich würd wohl auch fliegen. Irgendwann vermisst man sogar den „Diesel“-Geruch.
Mae: Das ist kein Diesel.
Jules: Jet A-1, schon klar. Für mich riecht’s nach Zuhause.
Mae: Nach Arbeit.
Jules: Manche haben ein Sofa. Wir haben die Twin Otter.
Mae: Und Wartungsintervalle.

Ich danke den beiden — und habe das Gefühl, dass zwischen Maes Präzision und Jules’ Improvisation noch Kapitel liegen, die kein Buch komplett erfassen kann. Beim Hinausgehen zischt der Kocher, Regen tropft aufs Blechdach und Nebel zieht vom Moray Firth herüber. Mae notiert etwas im Logbuch, Jules bietet mir den letzten Schluck Kaffee an, den ich klugerweise ablehne. Hinter mir ruft er: „Schreib rein, dass wir gar nicht so grummelig sind!“ Mae hebt kurz den Blick: „Dann wär’s nicht glaubwürdig.“